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Schwester Ute Arnemann und Schwester Rita Burmeister aus dem Diakonie Hospiz Wannsee haben für die Zeitschrift "Die Diakonieschwester" jeweils einen Artikel über das Abschiednehmen geschrieben.

Abschiednehmen im stationären Hospiz

Dieser Begriff spielt im stationären Hospiz eine große Rolle. Ständig sind wir als Pflegende Wegbegleiter für eine kurze Wegstrecke, die wir mit unseren Gästen, so nennen wir die Menschen, die in einem stationären Hospiz aufgenommen sind, zurücklegen. Auch ihre Angehörigen legen mit uns diesen Weg gemeinsam zurück. Wenn ein Gast bei uns aufgenommen wird, dann hat er schon Abschied genommen: von seinem Zuhause und oft auch von Plänen, die er wegen der Krankheit aufgeben musste. Abschied von der Nachbarschaft, Tieren, Gewohnheiten, die sich im Hospiz nicht umsetzen lassen.

Es ist für alle Beteiligten eine neue Situation, auf die sie sich einstellen müssen. Wir versuchen, dem Gast vieles noch zu ermöglichen. Manchmal lassen sich mit dem „Wünschewagen“ auch noch Wünsche erfüllen wie ein Besuch bei einem Handballspiel oder die Teilnahme an der Hochzeit der Enkeltochter. Irgendwann kommt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Gast auch Abschied von seiner Autonomie nehmen muss, immer mehr auf Hilfe angewiesen ist, was sehr schwer fällt.

Rituale Rituale begleiten uns in unserem Alltag und können bei der Bewältigung des Abschieds hilfreich sein. Wenn ein neuer Gast zu uns kommt, dann wird er mit Blumen und einer Karte auf dem Tisch begrüßt. Das zeigt ihm, dass er bei uns willkommen ist und nimmt ihm vielleicht auch ein Stück vom Abschiedsschmerz. Es wird für ihn eine Kerze mit seinem Namen und dem Symbol des Hospizes bestellt, die zunächst in einem Schrank aufbewahrt wird. Wir als Pflegende sind für die Menschen, die wir begleiten, immer ansprechbereit. Das gilt auch für ihre Angehörigen.

Im Laufe der Zeit entwickeln wir ein Gespür dafür, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, wichtige Punkte mit den Angehörigen zu besprechen, die die wirklich letzte Wegstrecke des Gastes betreffen. Es gibt im Kleiderschrank einen besonderen Bügel, auf den die Sachen gehängt werden, die der Verstorbene angezogen bekommen soll. Oft hat ein Gast schon im Vorfeld Wünsche geäußert, sonst sind die Angehörigen gefragt.

Es ist dabei wichtig, dass es für den Verstorbenen stimmig sein muss, nicht für die Hinterbliebenen. Vom Hochzeitskleid über Joggingbekleidung bis zum Hertha-Trikot habe ich schon alles erlebt. Der nächste Punkt ist die Wahl des Bestattungsunternehmens. Wenn der Gast verstorben ist, sind die Angehörigen mit sich und ihrem Schmerz beschäftigt, brauchen all ihre Kraft dafür. Da ist es gut, sich in dieser Situation nicht noch mit der Auswahl des Bestattungsunternehmens beschäftigen zu müssen.

Wenn ein Gast verstorben ist, brennt im Eingangsbereich eine Kerze und vor dem Zimmer befindet sich ein Hocker, auf dem eine Blume steht und ein Teelicht im Glas brennt, als Symbol dafür, dass er für andere Menschen ein Licht in ihrem Leben gewesen ist. Wenn wir wissen, dass der Verstorbene Christ war, dann liegt ein Holzkreuz daneben. Jeder Hinterbliebene trauert anders. Einigen ist es wichtig, den Verstorbenen mit anzukleiden, andere möchten beim Einsargen dabei sein. Wichtig ist, ihnen die Zeit und den Raum zu geben, den sie benötigen.

Manche sitzen am Bett, manchmal gibt es auch einen Leichenschmaus mit Wein und Essen. Viele haben Berührungsängste, möchten den Verstorbenen nicht mehr sehen. Ich versuche, die Angehörigen zu diesem Schritt zu ermutigen. Es ist dazu wichtig, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen können, dass der Mensch wirklich verstorben ist. Die Atmosphäre in einem Hospizzimmer ist eine andere als im Krankenhaus oder der Leichenhalle. Im Zimmer brennen Kerzen, wenn Angehörige da sind.

Auf dem Nachtschrank des Gastes steht die Kerze mit seinem Namen. Diese wird dann später oft bei der Beisetzung oder zu besonderen Tagen angezündet. Wir bieten ein Abschiedsritual an, christlich oder weltlich je nach Wunsch der Angehörigen. Teilnehmer sind auch einige der Pflegenden. Das wird immer individuell gestaltet – oft auch mit Lieblingsmusik, mit Gedichten, Texten, Bibelversen, und wir tauschen uns als Trauergemeinde aus. Es wird gelacht, geweint, geschmunzelt.

Jeder kann einen Beitrag bringen. So ergibt sich oft ein bunter Blumenstrauß vom Leben des Gastes. Um auch die Würde des verstorbenen Gastes zu sichern, sind wir als Pflegende bei der Einsargung dabei und folgen dem Sarg bis zum Auto. Auf dem Rückweg wird dann die Kerze im Eingangsbereich gelöscht. Am 1. Mittwoch im Monat findet nach der Dienstübergabe eine Gedenkstunde für die Verstorbenen des Vormonates statt. Es werden die Daten der jeweiligen Person genannt und ein Teelicht entzündet. Wir halten kurz inne, tauschen Erinnerungen aus und oft können wir uns selbst nach diesem kurzen Zeitraum nicht mehr an die Person erinnern.

Die Gedenkstunde ist wichtig, um den Gast loszulassen, offen zu sein für die neuen Gäste. Im April und im November finden Erinnerungsgottesdienste statt. Dazu werden die Angehörigen der Gäste eingeladen, die im letzten Jahr bei uns verstorben sind. Im Gottesdienst werden die Namen vorgelesen und es wird für jeden ein Teelicht angezündet. Im Anschluss daran besteht noch die Gelegenheit dazu, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Aus der Sicht eines Gastes

Ich habe mich mit einem weiblichen Gast, Frau D. I., Jahrgang 1943 und seit September im Hospiz, über das Thema Abschied unterhalten können. Im November 2023 hat sie ihren Mann geheiratet. Es war die erste Hochzeit eines unserer Hospizgäste, die in einem Standesamt stattgefunden hat und nicht nur hier im Hospiz stattfinden konnte. Wir haben im Eingangsbereich Spalier gestanden, als sie zurückgekommen sind.

„Können Sie beschreiben, welches Gefühl, welcher Gedanke Ihnen kam, als Sie erfahren haben, dass Sie nicht mehr lange zu leben haben? Ist das eine zumutbare Frage?“
Frau I.: „Diese Frage ist zumutbar. Mein Gedanke: Ich habe keine Pläne mehr. Es ist in Ordnung. Mein Gefühl beim Wort Hospiz: Das ist das Größte, was mir in meinem Leben geschehen ist.“ Nach der Diagnose war Frau I. im Gespräch mit einer Psychologin, die sie im Krankenhaus begleitet hat. Dort konnte sie ihren „Ballast“ abgeben. Als sie dann nach fünf Wochen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hat sich die Psychologin von ihr mit folgenden Worten verabschiedet: „Sollte im Laufe Ihrer Behandlung das Wort Hospiz erwähnt werden, sollten Sie auf alle Fälle „ja“ sagen“ – und wie sagte Frau I. so schön: „Und daran habe ich mich gehalten. Das Wort fiel, und ich war glücklich.“ Der Wechsel von der Normalstation zur Palliativstation sei schon wunderbar gewesen, aber der ins Hospiz wie ein Glücksgriff.

„Was hat sich geändert mit diesem Wissen?“
Frau I.: „Ich lebe bewusster. Ich nehme jeden Tag wie er ist und freue mich, wenn ich die Augen aufmache, mir noch eine Nacht geschenkt wurde und ich noch da bin. Es ist schwer zu vergessen, warum ich hier bin. Jetzt ist wieder jemand verstorben, der mir ans Herz gewachsen ist und ich lebe noch. Es ist schwer zu begreifen: ich habe keine Pläne mehr, mein Mann möchte nicht, dass ich versterbe, er verdrängt.

Ich muss es ihm aber deutlich machen. Ich habe ihn in die Pflege mit einbezogen, er verwöhnt meine Füße, wäscht sie, cremt sie, ein inniges, intimes Gefühl, dabei hatte er vorher nicht so viel mit Berührungen zu tun. Wir erzählen dabei, weinen und sind glücklich. Ich habe im Grünen gewohnt, mich dort wohl gefühlt, konnte abschalten. Mein Mann und meine Schwester konnten erst nicht verstehen, warum ich ins Hospiz wollte – erst, als sie mich hier erlebt haben.“

„Sie haben im letzten Jahr geheiratet. War das Thema ‚Heiraten‘ plötzlich wichtig, weil Sie es früher aufgeschoben haben oder dachten, der richtige Zeitpunkt ist noch nicht gekommen?“
Frau I.: „Mein Ehemann ist 15 Jahre jünger, ich wollte ihm die Freiheit lassen. Ich wollte ich werden und dazu hat er mir verholfen. Dem anderen etwas gönnen, weil er mich so sehr liebt. Hat sich gelohnt. Der Wunsch kam von ihm. Er wollte meinen Kindern gegenüber einen Wert haben.“

„Gibt es etwas, das Sie Menschen mitteilen möchten, die genau wie Sie erfahren haben, dass sie nicht mehr lange leben werden?“
Frau I.: „Der Tod gehört zum Leben und ist in unserer Wahrnehmung außen vor. Tabuisierung dieses Themas in unserer Gesellschaft. Ich habe die beste Erfahrung zu diesem Thema mit meinen Eltern gemacht. Ich habe gesehen, wie sie aus dem Leben gehen. Alles ist natürlich abgelaufen, harmonisch, von Geschichten wie Todeskampf weit entfernt. Meine Mutter ist acht Jahre vor meinem Vater verstorben. Ich habe ihr den Weg freigemacht. ,Mutti, Du kannst in Ruhe einschlafen. Ich kümmere mich um Papa‘. Sie hatte ein Lächeln auf ihrem Gesicht und ist am nächsten Tag eingeschlafen.“

Liebe Frau I., ich freue mich sehr, dass Sie sich auf meine Fragen eingelassen und so offen über sich gesprochen haben.
Herzlichen Dank! Keiner von uns weiß, wann es für ihn Abschied nehmen heißt. Wichtig ist mir persönlich, immer alles zu sagen, was zu sagen ist und sich zu verabschieden, auch wenn nur das Haus verlassen wird.

Ihr müsst Euch nur von einem Menschen verabschieden. Ich von vielen!

Das Zitat eines Gastes klingt in mir nach.

Schwester Ute Arnemann
Mitarbeiterin im Diakonie Hospiz Wannsee

Abschiede bewusst wahrnehmen

Abschiednehmen und sich verabschieden – das kennen wir aus unserem Leben: Wir verabschieden uns von Menschen nach einem Besuch oder Telefonat, vor einem Urlaub von denen, die zurückbleiben und anschließend von dem Urlaubsort, den wir vielleicht nie wiedersehen werden und der uns in besonderer Weise erfüllt hat. Wir erleben Abschiede in sich auflösenden Freundschaften oder Abschiede von unseren Wünschen und Träumen, die nicht Realität werden, und wir müssen von lieben und uns sehr vertrauten Menschen Abschied nehmen, weil sie gestorben sind.

Unterschiedliche Abschiede, unterschiedliche (Lebens-)Situationen – und doch haben sie in der Regel den Schmerz, die Trauer und Traurigkeit gemeinsam, vielleicht auch Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit, Verzweiflung, Wut und/oder Schuldgefühle. Diese Gefühle können in unterschiedlicher Konstellation und Ausprägung sofort auftreten oder sich erst nach Tagen oder Wochen bemerkbar machen. Abschiede, Verluste und die vielfältigen Gefühle gehören zu unserem Leben dazu. Die Frage ist, ob wir Abschiede bewusst wahrnehmen, vielleicht auch in guter Weise „abschiedlich“ zu leben gelernt haben und ob wir die Gefühle zulassen oder aber verdrängen, weil sie noch mehr Schmerz verursachen und uns mit unserer Verletzlichkeit, Hilf- und Sprachlosigkeit konfrontieren könnten. Wollen wir nicht eher stark sein, eine Situation im Griff haben und möglichst wenig schmerzhafte Gefühle zeigen? Ich möchte Henning Scherf, ehemaliger Bremer Bürgermeister, zitieren: „Lasst euch ein auf den Abschied! Und das nicht erst am Lebensende.“ Denn Abschied ist Leben und Leben ist Abschied. Das lerne ich zunehmend für mich persönlich, u. a. durch meine Tätigkeit als Koordinatorin im ambulanten Hospizdienst.
 

Was bedeutet und wie gestalten wir das Abschiednehmen im stationären Diakonie Hospiz Wannsee und im ambulanten Hospizdienst?

Alle Mitarbeitenden im stationären Bereich – in der Pflege, Hauswirtschaft, Reinigung, Verwaltung – und im ambulanten Kontext wir Koordinatorinnen und ehrenamtlich Mitarbeitende, sind ständig mit dem Abschiednehmen von erkrankten Personen und deren Angehörigen konfrontiert. Wir begleiten einerseits die Menschen im Abschiednehmen und nehmen andererseits auch selbst Abschied. Denn es stirbt immer ein Gegenüber, zu dem wir eine Beziehung aufgebaut haben. Auch die Angehörigen in Trauer, die des Trosts bedürfen, lassen wir am Ende der Begleitung los und zurück. Daraus ergeben sich für mich die wesentlichen Fragen:

Im Hospiz – gleiches gilt sicherlich für ähnliche Bereiche – ist das bewusste Verabschieden mit dem Wahrnehmen des Verlustes und dem Zulassen der Gefühle ein wichtiges Element und gehört unabdingbar zur Kultur dazu.

Abschiednehmen für schwerkranke und sterbende Personen und ihre An- und Zugehörigen

Es braucht für den sterbenden Menschen und für seine An- und Zugehörigen einen Rahmen, in dem sie alle Gefühle, Sorgen, Fragen aussprechen können. Dazu ist die offene Haltung der Mitarbeitenden notwendig, eine Haltung, die sich dem Gegenüber mit Zeit und innerer und äußerer Ruhe zuwendet. Wir ermutigen unsere Gäste und Klienten zum Aussprechen des bevorstehenden Abschieds mit all den vielseitigen und vielleicht auch widersprüchlichen Gefühlen. Diese Offenheit kann im Abschiednehmen vieles erleichtern, es kann vielleicht noch zusammen über eine zukünftige Situation beraten oder ein dankbarer Rückblick auf gemeinsame Zeiten mit schönen und prägenden Momenten gehalten werden. Diese Gespräche sind häufig Trittsteine in der anschließenden Trauer der Zurückgebliebenen und können zu Trostelementen werden.

Für An- und Zugehörige kann es auch hilfreich sein, z.B. mit der Pflegekraft, dem Sozialarbeiter oder der Seelsorgerin allein und ohne die schwerkranke Person zu sprechen. In jedem Hospiz gibt es einen Raum der Stille, der für solche Gespräche genutzt werden kann. Gleichzeitig bietet dieser Ort auch eine Rückzugsmöglichkeit, um zu schweigen, zu beten, Texte zu lesen, zu schreiben oder ... Ein solcher äußerer Rückzugsort kann zu einem Ort des Auftankens und Kraftschöpfens werden, um sich nach längerer oder kürzerer Auszeit wieder mit ungeteilter Aufmerksamkeit der erkrankten Person zuzuwenden.

In dieser Phase der Sterbetrauer zeigt sich sehr häufig, ob die erkrankte Person und/ oder die An- und Zugehörigen bisher in ihrem Leben „abschiedlich gelebt“ haben, d.h. ob sie sich bewusst mit anderen Abschieden in ihrem Leben auseinandergesetzt und sie gestaltet oder eher verdrängt haben. Wer gelernt hat, mit Abschieden umzugehen und sie anzunehmen, kann häufig auch mit diesem letzten endgültigen Abschied offener umgehen.

Sehr schwer sind die Situationen, in denen die eine oder der andere nicht über den Abschied sprechen möchte. Es kann sein, dass die erkrankte Person immer noch Hoffnung auf Heilung und z.B. das selbständige Leben in der eigenen Wohnung hat und sich damit dem Thema Abschied gänzlich verweigert. Für die begleitende Person (Freund*in, Partner*in, Kind) ist es besonders schwer, da sie ihren Schmerz über den bevorstehenden Abschied und ihre Trauer nicht zeigen und verbalisieren kann. Sie trägt alle Fragen, z.B. zur Gestaltung der Beerdigung, zum Halten des Hauses/der Wohnung, zur finanziellen Absicherung etc. allein, was sich wiederum erschwerend auf die Trauerzeit und die Gestaltung des zukünftigen Lebensweges auswirken kann. Vielleicht wollen aber auch die An- und Zugehörigen nichts von einem Abschied wissen und lassen die sterbende Person mit ihren Fragen und Gefühlen allein?

Menschen, die sich mit ihrem Abschied und dem irdischen Ende auseinandersetzen, bereiten häufig die Gestaltung der Beisetzung vor und überlegen z.B., welche Kleidung sie als Verstorbene zur Kremierung oder im Sarg bei einer Erdbestattung tragen möchten. Im Hospiz wird – sofern die Gäste es zulassen – mit ihnen darüber gesprochen. In jedem Zimmer gibt es im Kleiderschrank den „letzten Kleiderbügel“, der in besonderer Weise gestaltet und für die letzte Kleidung vorgesehen ist. Der Kleiderbügel kann auch ein Aufhänger für ein Gespräch über den bevorstehenden Abschied und seine Gestaltung sein.

Abschiednehmen im ambulanten Hospizdienst

ch bin im ambulanten Hospiz- und Palliativdienst tätig und besuche schwerkranke und sterbende Menschen zu Hause oder im Pflegeheim, in der Regel zu einem Erstgespräch mit einem hohen Beratungsanteil und danach zur Vorstellung/Einführung der ehrenamtlich Mitarbeitenden. In diesen Gesprächen kommen manchmal schon Fragen zum Ende des Lebens auf, zu den Wünschen (wo und wie möchte ich sterben?) und der Haltung des Abschiednehmens. Eine solche Offenheit und Klarheit berührt mich immer wieder neu und erleichtert das Regeln von rein organisatorischen Dingen.

In dieser Atmosphäre kann ich davon erzählen, was das Abschiednehmen auf dem weiteren Weg auslösen kann, welche unterschiedlichen Gefühle auftreten können und vielleicht kann ich sagen, dass An- und Zugehörige auch zu Hause ihren Abschied von der verstorbenen Person ganz individuell gestalten können. Die verstorbene Person darf 36 Stunden zu Hause bleiben, es darf die persönliche Kleidung angezogen werden und auch die Sargausstattung kann individuell z.B. mit eigener Bettwäsche gewählt werden.

Die/Der ehrenamtliche Mitarbeitende besucht die erkrankte Person wöchentlich und oft entsteht eine sehr intensive Beziehung. In diesen Besuchen wird der Blick zurück gewagt (Was war schön? Urlaube? Hobbys? Besondere Erlebnisse? Was war schwer und hindert mich am Gehen?) und vielleicht wird nur das Heute gesehen (Was möchte ich jetzt?). Manchmal ergibt sich durch das aufgebaute Vertrauen auch die Frage nach dem bevorstehenden Weg: Wie wird er werden? Ist Angst da? Wohin gehe ich nach dem Tod – was kommt? Damit sind die ehrenamtlich Mitarbeitenden sehr nah an der Person, gehen emotional gegebenenfalls intensiv mit und müssen damit auch selbst den Abschiedsweg gehen in ihrer professionellen Rolle und doch als Mensch angerührt, der eine Beziehung zu dem Gegenüber aufgebaut hat.

In einer Begleitung habe ich ein sehr intensives Erstgespräch mit Ehefrau und Tochter erlebt. Sie berichteten von ihrem Rückzug von den Nachbarn im Haus – man wollte am liebsten niemanden sehen und keine Fragen zum Zustand des Ehemannes und schon gar keinen Besuch haben. Eine Nachbarin hat den Tod des Mannes mitbekommen, geklingelt und plötzlich veränderte sich die Situation. Die Tochter berichtete mir, dass einige Nachbarn zu ihnen kamen und am Bett des Vaters Abschied genommen haben. Das habe Trost gegeben und die Distanz war aufgehoben, ein gemeinsames Trauern und Anteilnehmen war möglich geworden. Das hat mich sehr berührt!

Es gibt allerdings immer wieder die Situation, wo entweder die erkrankte Person oder die Angehörigen die Krankheit nicht wahrhaben und damit auch den in absehbarer Zeit bevorstehenden Abschied nicht annehmen wollen. Das gilt es zu akzeptieren. Vielleicht sind im Gespräch mit Ärzten, Pflegenden, Koordinatorinnen, Ehrenamtlichen Hinweise, Rückfragen zum Ergehen möglich. Wenn aber Hoffnung auf Gesundung und Verdrängen der fortschreitenden Erkrankung bleiben, schwingen wir als Begleitende mit, „ummanteln“ das Gegenüber mit unserer Aufmerksamkeit und sind wach für Aussagen zur aktuellen Situation und Zukunft.

Abschiednehmen für Mitarbeitende und Angehörige
Für Angehörige und haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende haben Rituale eine ganz besondere Bedeutung. Ich gehe hier nur kurz darauf ein, da Rituale ein eigenes und umfangreiches Thema sind. Es gibt außerdem vielfältige Rituale für die Begleitung der sterbenden Person, die hier nicht beschrieben werden. „Ein Ritual (von lateinisch rituales, den Ritus betreffend‘, rituell) ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle und oft feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt.“ (Wikipedia)

Diese immer gleich ablaufende Handlung kann Halt und Orientierung geben sowie Ausdruck sein, um mich mit einem Symbol von etwas zu trennen und loszulassen/abzulegen oder um mich zu erinnern. In belastenden Situationen oder nach einer Begleitung (intensive Zeit zwischen erkrankter Person und Mitarbeiter*in) oder bei endgültigen Abschieden nutzen Angehörige oder Mitarbeitende z. B. einen bewussten Spaziergang, eine Körperdusche, das Weglegen eines Steines an einen bestimmten Ort, das Aufschreiben der Gedanken und Gefühle oder…Jede*r, ob ehrenamtlich oder hauptamtlich Mitarbeitende*r, findet ihren oder seinen Weg, um bewusst z.B. einen Einschnitt nach der Begleitung zu machen, die Situation und die Gefühle „abzulegen“ und neu in den Alltag zu starten.

Verabschiedungsrituale gehören elementar zu den Begleitungen schwerkranker und sterbender Menschen und entsprechend hat jedes Hospiz, jede Palliativstation ein eigenes Ritual entwickelt. Zwei Beispiele:

In der Begleitung trauernder Menschen ermutigen wir, sich – sofern noch nicht geschehen – ein Ritual des Gedenkens und eine Form zum Ausdrücken des Verlustschmerzes zu überlegen. Manche haben ein Schatzkästchen und legen wichtige Erinnerungsstücke an die verstorbene Person hinein (z.B. ein Kleidungsstück, einen Ring, eine Muschel als Erinnerung an gemeinsame Urlaube…) und wissen so um einen festen „Ort“, an den sie jederzeit gehen und Erinnerungen aufleben lassen können. In unseren Trauerspaziergängen entwickeln sich gerade Rituale zur gemeinsamen Erinnerung an die verstorbene Person, z.B. indem ein Kuchen am Geburtstag oder Sterbetag mitgebracht und in der Gruppe gegessen wird.

Die Teilnehmenden berichten, dass sie dieses Ritual zum Gedenken in der Gruppe als großen Schatz und als Stärkung empfinden. Eine Teilnehmerin hat am 2. Todestag ihrer Mutter Blumen mitgebracht, diese während des Spaziergangs in den See gelegt und dabei von ihrer Mama erzählt. Rituale haben somit in der Begleitung der erkrankten Person als auch nach dem Tod eine wichtige Funktion zum Erinnern und zum Lösen/Abstand gewinnen von der – gegebenenfalls emotional sehr herausfordernden – Situation.

Abschiednehmen endet nicht mit dem Tod
Das Abschiednehmen von einer Person beginnt in der Krankheits- und Sterbephase der erkrankten Person (Sterbetrauer) und setzt sich nach dem Tod in der Trauerzeit fort (Todestrauer als Zeitraum Tod bis Beerdigung und Weiterlebenstrauer als Zeit nach der Beerdigung). Eine Begleitung der An- und Zugehörigen kann in dieser Zeit hilfreich sein und einige suchen bewusst nach Unterstützung und Austausch unter Betroffenen.

Das Diakonie Hospiz Wannsee hat für trauernde Menschen verschiedene Angebote:

Diese Trauerangebote sind ausschließlich über Spenden zu finanzieren und werden nicht – wie die Sterbebegleitung – über die Krankenkassen refinanziert. Dennoch möchten wir sie – und vielleicht weitere – Begeg - nungsmöglichkeiten anbieten, da sie einen wichtigen Beitrag in der Trauerzeit zur Verarbeitung des Verlustes leisten. Die Begleitung von Menschen in der Zeit des Abschieds, ob nun der Krankheits- oder in der Trauerzeit, ist für mich ein besonderes Geschenk.

Ich darf Anteil nehmen an sehr persönlichen und individuellen Lebensgeschichten, erlebe ein großes Vertrauen und eine besondere Wertschätzung und bin immer wieder tief berührt. Gleichzeitig lehrt mich meine Aufgabe, mich selbst mit dem eigenen Abschiednehmen auseinanderzusetzen und für eine gute seelische Balance zu sorgen, da immer ich als ganzer Mensch gefragt und gefordert bin. Das ist eine echte Lebensschule – danke für diese Aufgabe!

Schwester Rita Burmeister
Leitung Ambulanter Hospiz- und Palliativberatungsdienst im Diakonie Hospiz Wannsee

Der Text ist zuerst in der Zeitschrift "Die Diakonieschwester" des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf e.V. erschienen. Der Evangelische Diakonieverein Berlin-Zehlendorf e.V. und die Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH sind Gesellschafter des Diakonie Hospiz Wannsee.

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